Kurz bevor die Sonne untergeht beobachte ich jetzt oft, wie die Nachtkerzen ihre Blüten öffnen. Es deutet sich immer durch ein sanftes vibrieren an, welches durch die ganze Knospe geht. Dann schiebt sich ein leuchtend gelbes Blatt hervor und plötzlich entwickeln sich nacheinander alle weiteren vier Blütenblätter. Sie formen zunächst eine Art Blütenkreuz, was mich an einen Propeller erinnert. Den Stempel, die Mitte noch schützend, kommt die Pflanze für einen Moment scheinbar zur Ruhe, bevor sie die Blütenblätter vom Zentrum heraus entfaltet und die geöffnete Blüte in die Abenddämmerung hinein erstrahlt.
Die Zartheit der Blätter gepaart mit der kraftvollen Dynamik der Bewegung, faszinieren mich jeden Abend. Dieser ganze Prozess dauert nur wenige Minuten.
Das alles findet ohne Muskelkraft statt. Schon mal drüber nachgedacht? Pflanzen besitzen keine Muskeln. Sind wir es nicht gewohnt zu denken, dass wir gut trainierte Muskeln haben müssen, damit Bewegung statt finden kann?
Die Natur lehrt uns was anderes. Die allem Lebenden innewohnenden Kräfte lassen uns wachsen und formen. Auch wir entwickeln uns als Embryo fluide, zunächst ganz ohne Muskelkraft. Die Rückbesinnung, auf die formativen Kräfte in uns, das beobachten und spüren in den eigenen Körper hinein ist vielleicht zunächst ungewohnt. Mit etwas Übung aber sehr heilsam und eine effektive Möglichkeit zu mehr Selbstregulation.
